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WASSERMUSIK
Installation im Muldental
Installation für zweihundertzwanzig Transportkisten und Wassersäcke am Muldenufer bei Höfgen

Unter dem Stichwort "Wassermusik" findet sich in deutschen Lexika und Wörterbüchern keine Erläuterung. Auch nicht der Hinweis, dass dieser vorrangig mit Händel und Telemann verbandelte Begriff eben jene Freiluftmusiken bezeichnet, die im Auftrag der jeweils über Wasser- und Schiffswege Herrschenden höchst effektvoll verfertigt wurden. Händels erste Wassermusik, aus fünfundzwanzig Stücken bestehend, wurde 1717 auf Wunsch des englischen Königs für ein Konzert auf der Themse komponiert. Und Telemanns Wassermusik - "Hamburger Ebb und Flut" überschrieben - kam im Jahr 1723 bei den Feierlichkeiten zum 100-jährigen Bestehen der Hamburger Admiralität zur Aufführung.

Wer oder was nun Tina Schwichtenberg beauftragt hat, für das Jahr 2003 eine "Wassermusik" am Ufer der Mulde einzurichten, lässt sich leicht ahnen und denken, wenn Mensch weiß, dass Tina zum wiederholten Male Stipendiatin der Denkmalschmiede Höfgen-Kaditzsch war. Von dort aus hat sie, lange vor der großen Flut im August 2002, die kulturell durchtränkte, sächsisch sanfte Landschaft in diversen Projekten und unzeitgemäßen Betrachtungen erkundet, kartografiert, repetiert und verinnerlicht.

Dass betonversiegelte Landschaften und Uferbegradigungen noch die sanftesten Flüsse mit Gewalt aus den Betten treiben, dass der fäkale Überflutungsgestank sich ebenso festsetzt wie der Brandgeruch, dass die ins Erdreich "entsorgten" Gifte nach der Überflutung wieder unentsorgt auf rissigem Boden zu Tage liegen, sieht, weiß und vermeldet Tina in ihren "um Welt bedachten" Arbeiten seit langem. Die Aufträge, die sie annimmt und liebevoll akribisch ausführt, verdanken sich zumeist nicht den zuständigen Behörden, sondern ihrem wachen Gewissen.

Gegen die Flut hilft, wenn die Sandsäcke durchnässt und die Dämme gebrochen sind, nur noch der menschliche Zusammenhalt. Klapp- und aufklappbare Behälter und Behältnisse braucht es, um das Allernotwendigste in gebotener Schnelle zu bergen und zu retten. Und eine Ordnung, in der sich - nach Art gemeinschaftlichen Musizierens - menschlich kommunizieren lässt. "Musik", erläutert DUDENs Bedeutungswörterbuch, "ist die Kunst, Töne in bestimmter Gesetzmäßigkeit hinsichtlich Rhythmus, Melodie, Harmonie zu einer Gruppe von Klängen und zu einer Komposition zu ordnen."

Tina Schwichtenbergs "Wassermusik 08/03" bezieht ihr Notenmaterial direkt aus der Mulde. In versiegelten transparenten Wassersäcken, die sich in den ausgemusterten Transportkästen einer Firma für Telekommunikation wiederfinden, lebt, entwickelt, blüht, entfaltet und gluckst etwas vor sich hin, das als blasiger Grundton eines Elements zu nehmen ist, mit dem sich - bei allem Spaß, zu dem es verhelfen kann - nicht spaßen lässt. Wer in der Weise von Kindern und Künstlern mit den Ohren Farben sehen und mit den Augen Klänge hören kann, wird am Muldeufer bei Höfgen und Nimbschen, unweit von Kaditzsch, Teilnehmer und Adressat einer stillen Komposition, die den gehabten Schaden erinnert, um einem künftigen zu wehren.
Jürgen Rennert
Siehe auch Objekte - Wanderkarten

Pressestimmen

Wassermusik und nebelrote Netze

Kaditzsch. Wer dieser Tage den Jutta-Park oder Kaditzsch durchwandert, kann Künstlern bei ihrer Arbeit über die Schultern schauen und hautnah miterleben wie Projekte entstehen, die unter dem Titel "Kunst nach der Flut" am 16. August Stationen eines Kunstspazierganges sein werden.

Nahe der Schiffmühle am Höfgener Muldeufer mahnt ein Schild: Bitte nicht berühren, stapelweise lagern daneben graue Transportkisten im Gras. In verschweißten Foliensäcken schwappt schmutzig-grünes Muldenwasser. Die Berliner Künstlerin Tina Schwichtenberg ist dabei, ihr Kunstprojekt "Wassermusik" aufzubauen. Muldenwasser wird portionsweise in transparente Plastiksäcke eingefüllt, die verschweißt und in 220 Transportkisten gepackt, parallel zur Mulde ein künstliches Flussbett entstehen lassen. Hier ist Wasser gebändigt, eingesperrt, kanalisiert. Welch ein scharf formuliertes Gleichnis auf menschliche Eingriffe in die Natur.

Hinter der Folie lassen sich die Veränderungen des Muldenwassers im Laufe der nächsten Tage beobachten. Man wird sehen, dass Wasser lebt. Durch Sonneneinstrahlung wird es zu einer Veralgung kommen. Veränderungen, die in ihren Details nicht vorhersehbar ist.

Tina Schwichtenberg bringt in ästhetischer Form Wasser noch einmal dorthin, wo es vor einem Jahr massive Schäden anrichtete, neben den Fluss. Hier geht man vorüber und mag vielfältige Assoziationen haben. Mit ihrer Arbeit will die Künstlerin gegen das gesellschaftliche Vergessen wirken.

Kommt man vom Aussichtsturm her im Jutta-Park die Kastanienallee hinunter, könnte man an einen roten Nebel glauben, der über dem Rondell zu schweben scheint. Näher kommend lässt sich jedoch ein Gespinst feiner roter Fäden erkennen, das zwischen Kastanienstämmen aufgespannt ist. Eine ähnliche Irritation kann auch dem Höfgen-Besucher widerfahren, denn die Wehrkirche ist gleichfalls vielfach umsponnen und verwoben. "Als Ariadne ins Muldental kam ..." heißt die Arbeit der beiden Schweizer Künstler Sabina Kaeser und Thomas J. Hauck, die an vier Standorten (auch Schmiede in der Studiogalerie und Klosterkirche Grimma) beharrlich ein zartes Netzwerk aus rotem Faden weben, das den Blick auf Landschaft und Räume reizvoll verändert. Mit den roten Fäden reagiert das Künstlerduo "Das Archiv" immer wieder neu auf die Gegebenheiten verschiedenster Orte, weckt Aufmerksamkeit für Raum und Situation und regt an zu Auseinandersetzungen. Das filigrane Netzwerk verweist auf Entfernungen, Richtungen und Verbindungen. Wo sich die Ariadnefäden im Muldental kreuzen, gilt es jedenfalls sehenswerte exponierte Orte zu entdecken, die aufzusuchen sich lohnt.
Leipziger Volkszeitung, 4. August 2003