zurück zu installationen TASCHENINHALTE
Geschenke der Passanten (Aktion) |
|||
1998, Berlin: Im Einvernehmen mit dem Kaufhof (Ost)
und dem KaDeWe (West) bat Tina Schwichtenberg Kunden um ein Geschenk für
eine Ausstellung in New York. Zweimal je 75 Kästchen als "Bauchladen"
wurden mit spontan gegebenen Dingen gefüllt. Dabei interessierte
sie die Verschiedenartigkeit der Geschenke, die Großzügigkeit
und die Reaktionen des Publikums. Die Vermutung, daß sich die Sammelergebnisse
voneinander unterscheiden, hat sich bestätigt. Ost- und Westberlin
sind auch nach Jahren nicht zusammen gewachsen.
|
Tascheninhalte aus Ost-Berlin |
||
|
Tascheninhalte aus West-Berlin
|
Pressestimmen
Großzügige Punks
Tina Schwichtenberg sammelt die Hosentascheninhalte fremder Leute für eine Ausstellung in New York Ein schmächtiger Mann Ende vierzig sitzt auf dem Rande des Springbrunnens auf dem Alexanderplatz. Er beobachtet gurrende Tauben und wartet, bis die Frau wiederkommt. Heute hat er ein Geschenk für sie dabei, er nennt es "Großmutter" - warum auch immer. Es ist ein Klettverschluß für Binden. Bis kurz zuvor trug er ihn an seinem verstauchten Bein. Die Frau hat einen Fotokoffer um die Hüfte gegurtet. Es hat sie Mut gekostet, wieder hierher zu kommen und Leute anzusprechen. Seit einigen Tagen macht sie ihre tägliche Runden um den Brunnen. Sie bittet jeden, ihr den Inhalt seiner Hosentasche zu überlassen. Die blonde Künstlerin erkennt den Mann. Gestern saß er am selben Platz, die "Großmutter" noch am Bein. Sie nimmt sein Geschenk und legt es in eines ihrer Plastekästchen - zu den Fotos, Haaren, Kondomen, Räucherstäbchen, Tabletten, Schrauben, Abzeichen, Strohhalmen, Eintrittstickets und Telefonkarten. Sie Frau nimmt alles, was die Leute ihre geben. Der Mann lächelt. Die Frau hat ihm gesagt, sein Geschenk komme nach New York. Das Berliner Gotethe-Institut sponsert die Ausstellung der 54jährigen Tina Schwichtenberg, die sich "Konzeptkünstlerin" nennt, unter dem Titel "art in the box". Vier Wochen will sie in Amerika Berliner Hosentascheninhalte zur Schau stellen. Zurückkommen will sie dann mit gesammelten Hosentascheninhalten von New Yorkern. Tina Schwichtenberg möchte Berührung herstellen - zwischen sich, ihrer Kunst und den Menschen, die etwas von sich hergeben. Persönliche Dinge, an denen Erinnerungen haften, beeindrucken sie am meisten. Sie sucht nach Unterschieden zwischen Ost und West. Deswegen sammelt sie in Berlin. Ein Abzeichen mit der Aufschrift "17 Jahre DDR" etwa oder eine ungestempelte alte DDR-Briefmarke würden ein Stück ostdeutscher Identität sein, findet Tina Schwichtenberg. Im Westen, sagt sie, gäbe es ja keine Ost-algie - Erinnerungen an die Zeit in einem anderen Staat. Keine Verkäuferinnen, "die während ihrer Mittagspause am Brunnen mal eben einen Kugelschreiber mit der Aufschrift Reisebüro der DDR' aus der Tasche ziehen". In westlichen Taschen vermutet sie mehr "Schnickschnack". Ein 15jähriger Punk, der auf dem Alex Geld und Zigaretten schnorrt, will wissen, ob sie seine Sticker mit der Aufschrift "Ich scheiße darauf, ein Deutscher zu sein" von gestern noch habe. "Willste nicht nach New York mitkommen", fragt Schwichtenberg zurück. Früher hatte die Künstlerin, die heute von freien Projekten lebt, eine Galerie am Märkischen Ufer. Wenn sie den Leuten von ihrem Anliegen erzählt, achtet sie genau auf deren Reaktionen. Viele sagen nein und gehen weiter. Einige kommen zurück - wie der Mann mit der "Großmutter". Sie beobachtet genau, wer was hergeben kann oder will. Sie schätzt die Punks, weil die "neugierig und großzügig" sind. Nach dem Alex will Tina Schwichtenberg zwei Wochen lang vor dem KaDeWe sammeln. Ob er sich einen Erfolg in New York vorstellen kann, fragt die Frau den Mann. "Die New Yorker interessiert doch alles", sagt der. Maxi Leinkauf, Berliner Zeitung, 31.07.1998 |
|
|