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SCHRIFT-BILD
In der VHS Steglitz realisierte Tina Schwichtenberg 1994 ein Projekt mit einer interessierten Kunstgruppe zum Thema "SCHRIFT-BILD". Es wurden Graffitis in Steglitz fotografiert, die Fotos entwickelt, auf eine untapezierte Wand eines VHS-Raumes projiziert und originalgetreu nachgemalt. Nachdem dieses Projekt beendet und die Wand fertig war, gab es Kritik vom zuständigen Stadtrat. Auf der Wand war zum Beispiel zu lesen: "Zerschlagt die Nazibanden" oder "Nie wieder Deutsschland" mit doppel S, oder "Spekulant an die Wand". Kommentar des Stadtrats: "Solche Sachen gehören doch nicht in die Schule!"
Es wurde dann in kürzester Zeit eine Maler-Brigade bestellt und die Wand übermalt. Vor der Kunstaktion hatte die VHS-Direktorin Monate darum gebeten, den Raum zu renovieren; es fand sich aber kein Geld dafür.
Schrift-Bild
Ort:

1994    Volkshochschule Steglitz, Berlin

Pressestimmen
Paßt Volkes Stimme in die Volkshochschule?
Kursusteilnehmer sammelten Sprüche und malten sie an eine Wand / Kunstprojekt soll nun verschwinden

Kaum hat sich die Aufregung über das Denkamt auf dem Hermann-Ehlers-Platz etwas gelegt, macht eine mit Sprüchen bemalte Wand in einem Raum der Volkshochschule erneut für einige Aufregung in Steglitz. "Halte Deine Umwelt sauber! Du labst in ihr!, "... und wer knackt die mauer in den Köpfen", "Sehnsucht nach Dir" oder "Arbeitslos? Obdachlos?" Diese und Dutzende anderer Sprüche unterschiedlichsten Inhalts haben die Teilnehmer eines Volkshochschulkurses unter der Leitung der Künstlerin Tina Schwichtenberg bei ihren Spaziergängen unter anderem von Berliner Bretter- und Häuserwänden abfotografiert. Eine Auswahl wurde dann originalgetreu als "Schrift-Bild" auf die sechs Meter lange Wand des Raumes 203 im Alten Steglitzer Rathaus übertragen.
Doch während die Künstlerin und die Direktorin der VHS, Monika Oels, in der so gestalteten Wand keinen Affront sehen, ist Bezirksbürgermeister Herbert Weber (CDU) keineswegs mit den "Schmierereien" einverstanden. Im Gegenteil: Er hat als Hausherr Volksbildungsstadtrat Thomas Härtel (SPD) aufgefordert, die Wand bereits in der kommenden Woche wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu versetzen. Dies habe Härtel auch in der jüngsten Sitzung des Bezirksamtes zugesichert, sagte Weber gegenüber dem Tagesspiegel. Anderenfalls werde er den Zugang zu dem Raum sperren.
Weber begründet seine Haltung mit dem Inhalt einiger Sprüche. "Es ist schlimm, das Dinge Wie ‚Spekulant an die Wand' im Raum eines öffentlichen Gebäude zu lesen sind". Er sei sich mit dem Bezirksamt einig, daß es sich bei einer derartigen Parole eindeutig um einen Aufruf zur Gewalt handele. "Das ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, die Neutralitätspflicht des Hauses wird damit verletzt". Ohnehin habe er von der Absicht, die Wand in dieser Form zu bemalen, nichts gewußt. Kunst oder nicht: "Dies ist einfach eine schlimme Entgleisung".
Ganz anders sieht das die Künstlerin Tina Schwichtenberg, die die Idee zu diesem Kurs hatte: "Für dieser Art von Zensur habe ich kein Verständnis". Sinn des Projektes sei es gewesen, widerzuspiegeln, was erzürnte, traurige oder glückliche Menschen geschrieben gaben. Dabei komme es nicht auf den künstlerischen Wert an.
Christian Böhme,    Der Tagesspiegel, 05.03.1994

Wenn Kunst zum Stein des Anstoßes wird
Schrift-Collage in der Steglitzer Volkshochschule soll heute überpinselt werden

Mit ihrer Alltags-Spurensuche fühlen die Künstlerinnen Tina Schwichtenberg und Antje Loeschmann sich der Zensur ausgesetzt. Ihre Collage mit fotografierten Graffiti-Sprüchen im Psychologie-Fachraum der VHS Steglitz soll heute getilgt werden. VHS-Leiterin Monika Oels steht zum Bild: "Es zeigt aufschlußreich die Emotionen der Steglitzer." Die Fraktionen der Republikaner, der CDU und der FDP jedoch verlangten Maßnahmen von Bürgermeister Herbert Weber, CDU. Dieser meint ,daß etliche Sprüche in der Collage "Parolen für Gewalt sind". Anders Boris Buchholz, Bündnis 90/Grüne: "Mit diesem Ausdruck von Jugendkultur können Kleinbürger nicht umgehen. Also kriminalisieren sie die Künstler, die nur aufzeigen."
Berliner Morgenpost, März 1994